Vortragsveranstaltung am 22.3.2015

Nr. 71 . Mittwoch, 25 März 2015 / Seite 29 Region Andernach
„Schicksalen ein Gesicht geben“

Geschichte: Joachim Hennig sprach über Verfolgung und Widerstand in der Region

Von unserer Mitarbeiterin Yvonne Stock

Plaidt/Region. Seine Mission ist mühsam: Joachim Hennig quält sich durch Aktenberge in Archiven und befragt Zeugen und Angehörige, und er setzt viel Puzzlestücke zusammen. Sein Ziel: Der Verfolgung, der Ermordung und auch dem Widerstand im Dritten Reich in unserer Region ein Gesicht zu geben. Hennig ließ kürzlich bei seinem Vortrag in der Plaidter Hummerich-Halle bewegende Schicksale vor dem geistigen Auge entstehen. Eingeladen dazu hatte der Plaidter Geschichtsverein.

Da gab es zum Beispiel die Witwe Emma Brasch, die ursprünglich mit ihrer Familie in Mayen gewohnt hatte. Am 10. November 1938 fiel eine Horde Nazis in ihr Haus in Koblenz ein und demolierte es. Sie fotografierten die 71-jährige im Nachthemd, das Bild in einem Hetzblatt, „um damit Juden insgesamt lächerlich zu machen“, erzählt Hennig.

Er zeigte ein Foto aus dem Jahr 1942 von [b]Juden aus Mendig[/b] in Anzug und mit Hut, wie sie an einem Bahnhof in der Eifel auf ihren Abtransport in das „Altersgetto Theresienstadt“ warteten. Deren Schicksal teilten die Sinti und Roma in der Region. Ein erster Transport in Richtung Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau startete am 10. März 1943 in Koblenz. Unter den 150 Personen waren laut Hennig auch einige Familien aus Münstermaifeld und Arft. Die Arbeitsfähigen unter ihnen wurden in andere Konzentrationslager (KZ) verschleppt.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler setzte ein Rachefeldzug auch gegen Familien der Täter ein, der bis auf Burg Namedy reichte. Dort lebte zu der Zeit Lina Lindemann, eine Schwägerin eines Prinzen von Hohenzollern, bei ihrer Schwester. Als Sippenhäftling wurde Sie „über viele Stationen fast durch das ganze damalige Deutsche Reich gehetzt“, berichtete Hennig. Sie überlebte.

Auch die Heil- und Pflegeanstalt Andernach wurde zum Tatort. Die Anstalt war eine von zahlreichen „Zwischenanstalten im Rahmen des Euthanasie-Programms der Nazis“, erklärte der Referent. Zunächst wurden etwa 900 Patienten, die meisten psychisch krank, von hier aus in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht. Später wurden die Patienten durch „systematische Überdosierung von Medikamenten und durch Verhungernlassen“ getötet, dass mindestens 1.500 Menschen in der oder über die Anstalt ermordet wurden. Der ehemalige Richter lenkte den Blick auch auf den Mut einiger Menschen aus der Region, die sich den Nazis entgegen stellten.

Darunter war der ursprünglich aus Andernach stammende Edgar Lohner. Das Mitglied des katholischen Bundes nahm an Fahrten und Lagern teil und lernte dabei in Paris zwei Jüdinnen kennen. Wegen Rassenschande und Hochverrats wurde Lohner 1939 vom Landgericht Koblenz zu knapp vier Jahre Haft verurteilt. Er wurde später zur Wehrmacht eingezogen, aber Lohner überlebte.

Auch die Pfarrer Josef Zilliken aus Wassenach, ein gebürtiger Mayener und Johannes Schulz aus Nickenich duckten sich nicht weg und zeigten ihre klare kirchliche Kante. Die Situation eskalierte 1940 im Biergarten des Waldfriedens als sie General Feldmarschall Hermann Göring den Hitlergruß verweigerten. Noch am Abend wurden die beiden Pfarrer im Andernacher Gefängnis verhört beide starben 1942 in der „Hölle ohne Gott“ wie Hennig das KZ Dachau nannte. Ihr Schicksal bewegte Willi Lohner aus Niedermendig und seinen Freund Hans-Clemens Weiler aus Kruft so stark dass sie obwohl ursprünglich nicht so abwehrend eingestellt 1942 die Michaelis-Gruppe gründeten. Heimlich trafen sich die Jugendlichen in einer Kapelle bei Kruft um sich ihrer katholischen Identität zu vergewissern. Lohner soll sogar Waffen für einen Kampf gegen die Nazis gesammelt haben. Ein knappes Jahr später flog die Gruppe auf: Lohner und Weiler mussten im „Jugendschutzlager“ Moringen in einem Salzbergwerk Munition herstellen. Beide überlebten. Mit all diesen Geschichten sei das nördliche Rheinland-Pfalz im Dritten-Reich „normaler Durchschnitt“ gewesen sagte Hennig der erwähnte dass ihm die Frage: Wie hättest Du reagiert wenn du „1933 Richter gewesen wärst?“ bei seiner mühsamen Recherche angetrieben habe.

Joachim Hennig